26.06.2024 - Katja Feuerstein -8 MinutenRichtig führen
Auf Tik Tok ist die „Homeoffice-Depression“ en vogue. Faktor A hat mit einem Psychologen über das Phänomen gesprochen und Tipps gegen den Blues gesammelt.
Was bei einigen Begeisterungsstürme auslöst, wird für andere zur Qual: Das Homeoffice scheidet die Geister. Besonders Beschäftigte, die dauerhaft von zuhause aus arbeiten, kann der sogenannte Homeoffice-Blues treffen. Aber auch die, die weniger oft remote arbeiten, sind davor nicht sicher. Da mobiles Arbeiten heute in vielen Branchen zum guten Ton gehört, kommen Unternehmen nicht mehr umhin, sich auch mit den Gefahren und Folgen von Telearbeit auseinanderzusetzen. Doch was können Arbeitgeber tun, um das Wohlbefinden und die Gesundheit Ihrer Remote-Worker zu unterstützen?
Generation Homeoffice – produktive Einsamkeit
Aufstehen, Wecker aus, Klappe auf, Laptop an, Arbeiten, Laptop aus, Klappe zu, Wecker an – und zurück ins Bett: Im Homeoffice finden sich viele in einem Kreislauf wieder, der jeden Tag von Neuem beginnt. Gerade junge Menschen teilen ihre Erfahrungen auf Social Media und berichten von einem Gefühl der Isolation, Einsamkeit und Abstumpfung.
Zitat:„Gott weiß, wie lange ich mich schon unmittelbar nach dem Aufstehen direkt an den Laptop setze. (…).“
Ein prominentes Beispiel ist Grace Phelan (alias graceaamelia), deren Video auf Tik Tok viral ging. Darin beschreibt sie, wie sie der monotone Alltag im eigenen Zuhause in einen Teufelskreis führte:
Zitat:„An einem guten Tag gehe ich immerhin zum Training ins Fitnessstudio, lege mich danach aufs Sofa und schaue Fernsehen. Und dann stecke ich doch wieder in meiner Tik-Tok-Timeline fest, gehe ins Bett und der nächste Tag sieht genauso aus.“
Dieser eintönige Alltag habe bei ihr einen mentalen Zusammenbruch ausgelöst, völlig überwältigt von dem Gefühl, so nicht weiterleben zu können und in einer Sackgasse festzustecken. Schon zuvor hatte die Tik-Tokerin Bemsiee gepostet: „Sobald mein Wecker um neun Uhr losgeht, schnappe ich mir den Laptop und arbeite zwei Stunden lang vom Bett aus, bevor ich überhaupt aufstehe.“ Diese Freiheit werde für sie schnell zur Falle, wenn Social Media sie plötzlich ablenke oder nach Feierabend lange wachhalte. Auch ihr fehle später die Kraft, sich mit anderen zu treffen. Beide trafen einen Nerv: Es hagelte Zuspruch wie Kritik. Homeoffice-Depression? Drehen die Jungen jetzt ganz durch? Ist das der nächste Social-Media-Hype in der ohnehin aufgeheizten Debatte um die Generation Z (kurz: GenZ)?
Homeoffice – ein unterschätztes Gesundheitsrisiko
So einfach ist es nicht. Die anfängliche Euphorie kann schnell umschlagen. Plötzlich vermisst man selbst das tägliche Gequatsche, das einen vorher im Büro immer genervt hat. Mittags stochert man allein in seinem Essen herum, anstatt sich in der Kantine über den neuesten Klatsch zu unterhalten. Und an der heimischen Kaffeebar wartet auch niemand.
Zitat:Den ganzen Tag im Bett arbeiten? Eine große Falle für die mentale Gesundheit!
Psychologen warnen schon lange vor den Risiken und Gefahren von Homeoffice. Auf Dauer ist es eine psychische Herausforderung für Beschäftigte. Besonders Extrovertierte leiden unter dem fehlenden persönlichen Kontakt. Aber auch Introvertierten kann daheim die Decke auf den Kopf fallen. Wenn die Balance fehlt und die Grenzen zwischen Privatleben und Job verschwimmen, kann das negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben, von Schlafstörungen über mentale Erschöpfung bis hin zu Angst, sinkender Leistungsfähigkeit und Burnout. Dazu kommen körperliche Beschwerden.
Gesund bleiben im Homeoffice
Wie gesundes Arbeiten im Homeoffice funktionieren kann und welche Probleme in der Praxis lauern, erklärt Aldo Palkovich im Interview. Zudem haben wir acht Anti-Blues-Tipps für Sie!
Wichtig:Tipp:Das sagt der Psychologe
Faktor A: Herr Palkovich, Sie sind Psychologe im Berufspsychologischen Service der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Was genau macht das Homeoffice mit uns?
Aldo Palkovich: Allen voran sorgt das Thema für eine spannende Diskussion – und das hat auch gute Gründe. Homeoffice hat seine Vorzüge, unbestritten. Man denke dabei zum Beispiel nur an das Ausbleiben von Pendelzeiten. Gleichzeitig kann die fehlende räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben aber dazu führen, dass sich Arbeitnehmende stärker beansprucht fühlen und weniger Möglichkeiten zur Erholung haben. Außerdem berichten Beschäftigte in empirischen Studien davon, dass sie sich im Homeoffice mitunter einsamer fühlen. Als weitere Probleme nennen sie beispielsweise hohen Zeitdruck, unklare Arbeitsanforderungen, mangelnde Autonomie und eine unzureichende Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten.
Faktor A: Der „Homeoffice-Blues“ ist also keine Fiktion. Telearbeit, mobiles und hybrides Arbeiten sind heute für viele Betriebe und Beschäftigte nicht mehr aus ihrem Arbeitsalltag wegzudenken. Was bedeutet das für uns?
Aldo Palkovich: Sicher ist, das Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Und nun liegt es an uns, einen guten Umgang damit zu finden. Nur so kann der Aufbau von Resilienz gegenüber Belastungsfaktoren der digitalen Arbeit gelingen.
Faktor A: Seit der Coronapandemie hat sich das Homeoffice in Deutschland in vielen Unternehmen etabliert. Laut Statistischem Bundesamt war 2022 fast jeder vierte Erwerbstätige in Deutschland zumindest gelegentlich im Homeoffice. Gegenüber dem Vor-Corona-Niveau hat sich der Anteil nahezu verdoppelt. Welche Chancen ergeben sich dadurch?
Aldo Palkovich: Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass ortsflexibles Arbeiten (z. B. Homeoffice) eine positive Wirkung auf die Arbeitszufriedenheit, Produktivität und Arbeitgeberattraktivität haben kann.
Faktor A: Mit welchen Problemen sehen sich Unternehmen konfrontiert?
Aldo Palkovich: Es gibt empirische Hinweise darauf, dass virtuelles Arbeiten die Identifikation mit dem Unternehmen reduzieren und den Aufbau und die Aufrechterhaltung von Vertrauen zwischen Beschäftigten erschweren kann. Ursache hierfür ist die damit einhergehende Distanz zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber. Das kann mittelfristig die Bindung ans Unternehmen reduzieren, da beim mobilen Arbeiten nur wenige Identifikationsmomente und ein reduziertes Teamgefüge bestehen. Langfristig kann das zu steigender Fluktuation in der Belegschaft führen.
Faktor A: Ist Homeoffice denn per se schlecht für unsere (psychische) Gesundheit?
Aldo Palkovich: Es ermöglicht den Beschäftigten u. a. mehr Einfluss auf ihre individuelle (Arbeits-)Zeitgestaltung und dadurch ein Mehr an Flexibilität – und das ist gut so.
Faktor A: Aber?
Aldo Palkovich: Kein Licht ohne Schatten: Dieses „neue Normal“ birgt die Gefahr einer entgrenzten Arbeitszeit, etwa durch mehr Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit, im Krankenstand und bei der Arbeit am Abend oder gar in der Nacht.
Faktor A: Mit welchen Folgen?
Aldo Palkovich: Das hat u. a. starken Einfluss auf unsere Erholung: Pausen- und Ruhezeiten werden öfters eingeschränkt, wodurch Beschäftigte langfristig schlechter von der Arbeit abschalten können. Dadurch werden jedoch Ressourcen nicht wieder aufgefüllt, sodass körperliche und unter Umständen auch psychische Folgen auftreten können.
Faktor A: Welche typischen Stolperfallen im Bereich Arbeitssicherheit beim Mobilen Arbeiten sollten Arbeitgeber unbedingt beachten?
Aldo Palkovich: Aus psychologischer Sicht sollte ein Homeoffice-Arbeitsplatz idealerweise so eingerichtet sein wie ein Bildschirmarbeitsplatz im Betrieb, um ungünstigen Arbeitsbedingungen frühzeitig entgegenzuwirken. In Bezug auf die betriebliche Gefährdungsbeurteilung muss mobile Arbeit berücksichtigt werden, da die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gemäß Arbeitsschutzgesetz auch für mobile Beschäftigte gilt.
Faktor A: Schon seit 1996 schreibt das Arbeitsschutzgesetz beispielsweise vor, dass jedes Unternehmen eine Gefährdungsbeurteilung durchführen muss, die sowohl die körperlichen als auch die seelischen Belastungen bewertet. Dabei ist also auch die Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung von Beschäftigten Pflicht. Wie können Führungskräfte diese beim mobilen Arbeiten überhaupt erfassen?
Aldo Palkovich: Wesentlich für die Gefährdungsbeurteilung ist der Blick auf die Faktoren, auf die ein Unternehmen bei Mobilarbeit im Homeoffice auch tatsächlich Einfluss hat. Neben technischen Fragen zählen dazu unter anderem Fragen zur Arbeitsorganisation (z. B. Bereitstellung von Arbeitslaptops) oder zur Arbeitszeit (z. B. Gefahr der Entgrenzung der Arbeitszeit).
Faktor A: Was heißt das genau?
Aldo Palkovich: Konkret bedeutet das, dass Arbeitgeber sich fragen müssen, wie sie im Homeoffice z. B. adäquate Austauschmöglichkeiten zwischen Kolleginnen und Kollegen schaffen oder die Abstimmung von Erreichbarkeitszeiten mit der Führungskraft und dem Team gestalten. Außerdem müssen die Ziele und Erwartungen an die Arbeit im Homeoffice genau geklärt und festgehalten werden. Auch die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf sowie Möglichkeiten zur Selbstorganisation im Homeoffice sollten mitgedacht werden.
Faktor A: Vereinsamung, Suchtgefahr, Erschöpfung und Verwahrlosung sind nur einige der möglichen Kehrseiten bei der Arbeit von zuhause. Wie können Arbeitgeber bzw. Führungskräfte Probleme im Homeoffice aus der Ferne erkennen?
Aldo Palkovich: Sie sollten Ihr Augenmerk auf scheinbar unerklärliche Veränderungen richten.
Faktor A: Was sind mögliche Warnsignale?
Aldo Palkovich: Wenn Leistungen plötzlich auffällig absinken, Kurzerkrankungen oder Verspätungen ohne erkennbaren Hintergrund zunehmen, sollten Arbeitgeber hellhörig werden. Weitere Hinweise können große Vergesslichkeit oder Veränderungen im Sozialverhalten sein, also, wenn jemand untypischerweise den Kontakt zum Kollegium oder Vorgesetzten meidet. Auch, wenn scheinbar grundlos übersteigerte Reaktionen vorkommen, ist höchste Aufmerksamkeit geboten. Ist jemand niedergeschlagen, in sich versunken oder besonders angespannt und unruhig? All das können Anzeichen dafür sein, dass etwas nicht stimmt.
Faktor A: Wahrnehmen ist das Eine. Wie können Führungskräfte konkret gegensteuern?
Aldo Palkovich: Wichtig ist es, dass die Führungskraft den betreffenden Mitarbeitenden so früh wie möglich auf die wahrgenommenen Veränderungen anspricht. Das sollte selbstverständlich in einem vertraulichen Rahmen geschehen und inhaltlich gut vorbereitet sein. Einen Beispiel-Leitfaden im Umgang mit psychisch belasteten Beschäftigten bietet das sogenannte H-I-L-F-E-Konzept, dass der BKK Dachverband (Interessenverband der Betriebskrankenkassen) gemeinsam mit der Familien-Selbsthilfe Psychiatrie entwickelt hat. H-I-L-F-E steht hier für Hinsehen, Initiative ergreifen, Leitungsfunktion wahrnehmen, Führungsverantwortung: Fördern – Fordern und Expertinnen bzw. Experten hinzuziehen.
Faktor A: Was können Unternehmen generell tun, um die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden im Homeoffice zu erhalten?
Aldo Palkovich: Zur Bewältigung von digitaler Arbeitsbelastung stehen aus psychologischer Sicht diverse Mittel und Methoden zur Verfügung, die im Idealfall kombiniert und verstetigt werden. Der Lehrstuhl für Digitales Management der Universität Hohenheim empfiehlt etwa folgende drei: Erstens problemorientierte Bewältigungsmaßnahmen, um die auslösenden Belastungsfaktoren zu reduzieren (bspw. durch Klärung, ob der Skype-Chat für die Übermittlung von Arbeitsaufträgen genutzt wird oder ob Arbeitsauftrage weiterhin über E-Mail zu verschicken sind). Zweitens emotionsorientierte Bewältigungsmaßnahmen, um die Folgen digitaler Belastungen zu mildern (z. B. trainieren, dass man bei eingehenden Benachrichtigungen nicht gleich dem Lesedrang nachgibt). Drittens präventive Maßnahmen zur Stärkung und Steigerung der individuellen Ressourcen (z. B. Aufbau von Lösungskompetenz bei IT-Problemen durch Schulungen; Erlernen von Entspannungsmethoden oder Einführung von Angeboten zum Betriebssport).
Faktor A: Wie sähe eine ideale Umsetzung von Homeoffice in der Praxis für Sie aus?
Aldo Palkovich: Mobilarbeit sollte als flexible und ortsunabhängige Arbeitsform so gelebt werden, dass sie die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden unterstützt, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Pflege bzw. Privatleben fördert, die Teilhabe von Menschen mit Schwerbehinderung am Arbeitsleben verbessert sowie die Bindung an und die Attraktivität des Arbeitgebers steigert. Eine der größten Herausforderungen stellt hier die mögliche Entgrenzung der Arbeitszeit dar, sofern nicht mit geeigneten Mitteln gegengesteuert wird. Dafür braucht es klare Regelungen, wie z. B. eine Dienst- oder Betriebsvereinbarung, mit der beide Seiten, d. h. Beschäftigte und Arbeitgeber, sicher fahren. Damit ist es leichter, sowohl dem Wunsch nach mehr Flexibilität und Eigenverantwortung der Beschäftigten bei der Gestaltung von Aufgaben und Arbeitsbedingungen nachzukommen als auch die betrieblichen Interessen zu wahren.